AUTOBAUER: WAS DIE LKW-BRANCHE BESSER MACHT ALS VW, BMW UND MERCEDES

Daimler Truck und die Volvo Group investieren Hunderte Millionen Euro, um ein gemeinsames Lkw-Betriebssystem zu entwickeln. Sie haben aus Fehlern der drei großen deutschen Autobauer gelernt.

Es ist eine kleine, aber womöglich wegweisende Firma in der milliardenschweren Transportindustrie. Daimler Truck und die Volvo Group, die beiden größten westlichen Hersteller von Sattelschleppern, haben Anfang Juni im schwedischen Göteborg ein Joint Venture mit dem Namen „Coretura“ gegründet.

Die Gesellschaft, die zum Start gerade einmal 50 Mitarbeiter zählt, soll das „Herz und Gehirn“ aller künftigen Lkw von Daimler und Volvo entwickeln, sagte Coretura-Chef Johan Lunden im Gespräch mit dem Handelsblatt, der Nachrichtenagentur Reuters und der „Financial Times“. „Wir beabsichtigen, eine durch Software definierte Fahrzeugplattform zu bauen.“

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Diese Architektur soll auf Hochleistungsrechnern basieren. „Daran angeschlossen ist dann der Software-Stack, der wie ein Betriebssystem darauf sitzt“, so Lunden. Der ehemalige Leiter der Produktplanung und des strategischen Projektmanagements bei Volvo kalkuliert mit Investitionen im Umfang von „Hunderten Millionen Euro“ über einen Zeitraum von mehreren Jahren.

Die Softwareplattform von Coretura soll es Daimler, Volvo und potenziellen Kunden des Gemeinschaftsunternehmens ermöglichen, eigenständige und digitale Fahrzeugfunktionen für ihre Produkte anzubieten. Die Lkw-Konzerne bleiben jedoch scharfe Wettbewerber und wollen letztlich nur im Rahmen von Systemen zusammenarbeiten, die keine Alleinstellungsmerkmale bieten.

Im Jahr 2027 könnten die ersten Lastwagen die Softwareplattform nutzen, der Großteil der Neufahrzeuge werde jedoch voraussichtlich erst Ende des Jahrzehnts damit starten. Coretura soll einen „Industriestandard“ etablieren, erklärte Karin Radström, Vorstandschefin beim schwäbischen Dax-Konzern Daimler Truck.

Kosten teilen, Fehler vermeiden

Ihre Branche befinde sich aktuell in einer „sehr kapitalintensiven Phase“. Die Entwicklung von batterieelektrischen Antrieben, wasserstoffbasierten Brennstoffzellen, neuer Elektronik und Software verschlingt viel Geld. Die Partnerschaft mit dem schwedischen Rivalen Volvo sei eine gute Möglichkeit, diese Lasten „zu teilen“, sagte Radström.

Schon der Name des Unternehmens zeigt laut den Eigentümern dessen Bedeutung. Er sei eine Kombination des englischen Begriffs „core“ („Kern“) und des lateinischen Worts „ventura“ („Zukunft“), sagte Martin Lundstedt, Vorstandschef der Volvo Group. „Es geht also um Kerntechnologien für die Zukunft, um erfolgreich zu sein.“ Dabei wolle man Skaleneffekte nutzen und die Entwicklungszeiten verkürzen.

Dass Coretura zunächst mit einer Rumpftruppe starte, sieht Radström eher als Vorteil denn als Nachteil. „Es ist eigentlich ganz gut, dass wir mit 50 Leuten anfangen und nicht mit 5000. Wir müssen schlank und effizient arbeiten.“ Daimler und Volvo wollen bewusst die Fehler vermeiden, die etwa die drei großen deutschen Autobauer begangen haben.

Volkswagen, Mercedes-Benz und BMW hatten einst ebenfalls darüber verhandelt, gemeinsam ein Auto-Betriebssystem zu entwickeln. Das Vorhaben scheiterte jedoch an zu großen Egos, überambitionierten Zielen und unterschiedlichen Entwicklungsständen.

Dieses Jahr bringen Mercedes mit dem CLA und BMW mit dem iX3 zwar ihre ersten Serienmodelle mit wenigen Zentralrechnern und kurzen Kabelwegen – statt mehr als hundert Steuergeräten und einem Code-Wirrwarr – auf die Straße. Doch diese Software- und Elektronikplattformen wurden separat entwickelt und haben Milliarden gekostet.

Volkswagens Softwaretochter Cariad ist zudem ein Sanierungsfall. Die Firma kämpft mit Verzögerungen, hohen Verlusten und streicht 1600 Stellen. Cariad wollte ursprünglich bis zu 60 Prozent der Software in den VW-Autos selbst programmieren.

Kein Briefkasten, kein Größenwahn

Solch einen kostspieligen Größenwahn will Coretura-Chef Lunden vermeiden. „Was wir im Auge haben, ist ein Geschäftsmodell, das auf Partnerschaften setzt. Das Extrem, alles selbst zu machen, kommt für uns nicht infrage.“

Coretura sei zugleich aber weit mehr als eine reine Einkaufspartnerschaft, um möglichst günstig Zentralrechner und Steuergeräte bei Chipherstellern wie Nvidia, Qualcomm oder Infineon zu erwerben, betonte Lunden. Die Firma sei kein „Briefkasten“, der nur Bestellungen entgegennehme und weiterleite, sondern entwickle schrittweise mehr und mehr Software selbst.

„Die 50 Mitarbeiter sind nur ein Startpunkt“, sagte Lunden. Man werde behutsam wachsen und in den Bereich von mehreren Hundert Beschäftigten expandieren. Coretura soll dabei künftig auch als eine „Art technischer Berater“ seiner Eigentümer bei der Auswahl der Hardware und Software agieren, die in den Trucks verbaut werde.

Das Führungsteam von Coretura besteht neben Lunden aus drei weiteren Personen, die vorher bei Daimler Truck und der Volvo Group gearbeitet haben. Die Lastwagenhersteller hatten ihren Softwarepakt bereits im Mai 2024 angekündigt, nun geht es nach Abschluss von behördlichen Genehmigungen los.

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Erstpublikation: 17.06.2025, 13:00 Uhr.

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2025-06-17T18:07:50Z