AUTOINDUSTRIE: AUTOBAUER VERDIENEN IN CHINA KAUM NOCH GELD

Der Preiskampf bei Elektrofahrzeugen lässt die Gewinne der Hersteller in Fernost erodieren. Auch VW, BMW und Mercedes geraten immer stärker unter Druck, wie die Auto Show in Peking zeigt.

In Halle E2 auf der Peking Auto Show beobachten sechs Mitarbeiter von Volkswagen die Konkurrenz. Sie lassen sich am Stand des chinesischen Start-ups Nio dessen neueste Elektromodelle erläutern. Wie nahezu überall auf der wichtigsten Automesse der Welt ist vom „China Speed“ die Rede. Nirgendwo werden Pkw schneller entwickelt und mehr Innovationen kreiert.

Der Markt und die Anbieter wandeln sich rasant. Während Nio auf dem Messegelände noch Premiumlimousinen wie den ET7 mit einer Reichweite von mehr als tausend Kilometern präsentiert, launcht die Firma im Mai mit „Onvo“ bereits eine billigere Submarke, deren Fabrikate technisch besser und günstiger sein sollen als die Baureihen von Tesla. Nicht nur Elon Musk, auch VW muss der Plan von Nio alarmieren, ins breite Massensegment zu expandieren.

Damit verschärft sich im weltgrößten Automarkt weiter die Preisschlacht bei Elektrofahrzeugen. Nahezu täglich buhlen führende Hersteller mit neuen Rabatten um Kunden. Erst vergangenen Sonntag kürzte Tesla den Basispreis seines SUV-Bestsellers Model Y in der Volksrepublik um weitere fünf Prozent auf umgerechnet etwas mehr als 32.000 Euro.

Li Auto, das aktuell erfolgreichste chinesische Start-up in der Branche, zog einen Tag später nach und gewährt seither Nachlässe auf nahezu sein gesamtes Produktportfolio von umgerechnet bis zu 3900 Euro. Konkurrent Aito, eine rasant wachsende Automarke des chinesischen Technologiekonzerns Huawei, reagierte indirekt, indem der SUV M5 standardmäßig ein cleveres Fahrassistenzsystem zum gleichen Preis erhält.

Seit Oktober 2022 geht das nun schon so – und ein Ende des Preisverfalls ist nicht in Sicht. Im Gegenteil. Die Nationale Entwicklungs- und Reformkommission (NDRC) in China erwartet, dass sich die Lage angesichts steigender Überkapazitäten sogar noch zuspitzen wird.

So rechnet die Behörde zwar auf Basis neuer Kalkulationen damit, dass die Nachfrage an reinen Elektroautos und Plug-in-Hybriden perspektivisch um mehr als 2,1 Millionen Fahrzeuge pro Jahr anspringen wird. Allein der Marktführer BYD sowie Li Auto und Aito planen jedoch laut NDRC mit einem Wachstum von 2,3 Millionen Pkw. Bezieht man die Pläne aller weiteren über 100 Automarken in Fernost ein, entsteht eine riesige Lücke zwischen Angebot und Nachfrage.

Der Preiskrieg wird höchstens noch zwei Jahre anhalten, dann hat sich das Anbieterfeld stark gelichtet.

Experten sind alarmiert. „China ist ein ‚red ocean‘ – kaum ein Hersteller verdient noch Geld. Da wird Blut fließen“, sagt Stefan Bratzel, Direktor des Center of Automotive Management (CAM) an der Fachhochschule der Wirtschaft in Bergisch Gladbach. Der Branchenfachmann hält eine Konsolidierung für unvermeidlich. „Der Preiskrieg wird höchstens noch zwei Jahre anhalten, dann hat sich das Anbieterfeld stark gelichtet.“

Sinkende Marge und rote Zahlen

Cui Dongshui, Generalsekretär des chinesischen Verbands Passenger Car Association (CPCA), geht davon aus, dass sich der Preiskampf noch mehrere Jahre hinziehen könnte, bis sich der Markt in China neu geordnet hat. Für das Jahr 2024 erwartet der Verband 71 neue batteriebetriebene Elektroautomodelle auf dem Markt. Die durchschnittlichen Preise sind den Berechnungen zufolge binnen eines Jahres von 206.000 Yuan (rund 26.500 Euro) um 13 Prozent auf 179.000 Yuan (23.000 Euro) gefallen.

Die Folgen sind fatal. Der durchschnittliche Gewinn pro Fahrzeug im Reich der Mitte ist laut Berechnungen der Investmentberatung Automobility Ltd. seit 2015 von 24.000 auf 17.000 Yuan (knapp 2200 Euro) eingebrochen. Die Umsatzrenditen der Hersteller sind von fast neun auf fünf Prozent abgestürzt.

Um Marktanteile zu gewinnen, nehmen einige Anbieter bewusst Verluste in Kauf, zumindest vorübergehend. So hat sich etwa der Fehlbetrag bei Nio im vergangenen Jahr um fast 44 Prozent auf umgerechnet 2,7 Milliarden Euro ausgeweitet. Auch Konkurrent Xpeng rutschte mit einem Minus von umgerechnet 1,3 Milliarden Euro etwas tiefer in die roten Zahlen.

Analysten der Citibank prognostizieren zudem, dass Xiaomi mit der Elektrolimousine SU7 bei einem geschätzten Verkaufsvolumen von 60.000 Einheiten dieses Jahr pro Fahrzeug ein Minus von 68.000 Yuan (knapp 8800 Euro) einfahren könnte. Der drittgrößte Smartphone-Hersteller der Welt drängt mit Macht und viel Spielgeld ins Fahrzeuggeschäft.

Gründer Lei Jun, den manche den „Steve Jobs Chinas“ nennen, setzt trotzdem weiter voll auf Expansion, wie er am Donnerstag ankündigte. „Wir tun unser Bestes, um die Produktion auszuweiten“, sagte er.

Xiaomi hat die Auslieferung der Standard- und Max-Version des SU7 auf den 18. April vorgezogen, zwölf Tage früher als ursprünglich geplant. Nach eigenen Angaben hat das Unternehmen bis zum Mittwoch dieser Woche knapp 76.000 Bestellungen für seine sportliche Elektro-Limousine SU7 erhalten – und will im Juni mehr als 10.000 Einheiten ausliefern. Zudem soll das Vertriebsnetz in China stark ausgebaut werden, mit 143 Shops in Dutzenden Städten.

Derzeit wird Geld auf dem Markt ausgegeben, ohne dass die Möglichkeit besteht, das Geld zurückzubekommen.

Der SU7 liegt preislich unter dem Model 3 von Tesla und heizt den Preiskampf damit weiter an. Das setzt die etablierten Autobauer unter Druck. Ursächlich für den Preiskampf ist aber, dass neue Technologien alte ersetzen. China forciert den Bau und Verkauf sogenannter New Energy Vehicle (NEV) mit direkten und indirekten Subventionen.

Während sich nationale Hersteller seit Jahrzehnten schwertun, westliche Autobauer wie Volkswagen, Toyota, Hyundai, BMW oder Mercedes-Benz beim Verbrenner zu schlagen, sehen sie sich bei reinen Elektroautos, Plug-in-Hybriden und Brennstoffzellen-Pkw klar im Vorteil.

„Strom ist billiger als Öl“

Der chinesische Marktführer BYD will Diesel und Benziner mit seinen batterieelektrischen Fahrzeugen vollständig verdrängen. Seit Wochen fährt der Konzern aus Shenzhen daher unter dem Slogan „Strom ist billiger als Öl“ eine beispiellose Marketing- und Preisoffensive. Die Show des neuen Marktführers aus Shenzhen zieht an diesem Tag gefühlt die größte Aufmerksamkeit unter den chinesischen Anbietern an.

Die meistverkaufte Limousine in Fernost, der BYD Qin Plus DM-i, kostete vor einem Jahr noch mindestens 99.800 Yuan. Jetzt ist die Baureihe schon um 20 Prozent günstiger für 79.800 Yuan erhältlich. Besonders für Volkswagen wird das zum Problem. Denn mit dem Qin Plus als Plug-in-Hybrid unterbietet BYD preislich sogar die Benzin-Limousine Lavida von VW.

„Derzeit wird Geld auf dem Markt ausgegeben, ohne dass die Möglichkeit besteht, das Geld zurückzubekommen“, sagt etwa Volkswagens Chinachef Ralf Brandstätter und spricht von einer „ungesunden Situation“. Der Konzern rechnet für die nächsten beiden Jahre mit einem weiteren Preisverfall, bevor sich der Markt konsolidiert. Allerdings blieben die Preise wohl dauerhaft auf einem geringeren Niveau, erläuterte Brandstätter am Mittwoch im Vorfeld der Auto Show in Peking.

Sein Problem: Der Absatz mit lukrativen Verbrennern bricht kontinuierlich ein. Lag der Marktanteil von Dieselfahrzeugen und Benzinern in China im Jahr 2020 noch bei 94 Prozent, waren es zuletzt nur noch 67 Prozent. Allein VW, BMW und Mercedes-Benz haben in diesem Zeitraum zusammengerechnet ein Volumen an 549.000 Verbrennern verloren. Bei Elektroautos können die Deutschen bis dato nicht an die Erfolge von Benzinern anschließen, sodass sie in Summe an Einfluss in China verlieren.

VW-Konzernchef Oliver Blume deutete die Situation am Mittwoch um und betonte, die Gewinne aus dem immer noch lukrativen Verbrennergeschäft seien eine gute Grundlage für die Transformation des Konzerns in Richtung Elektromobilität.

Johannes Trenka, Experte für Pricing und strategisches Wachstum bei der Unternehmensberatung Accenture, empfiehlt VW, BMW und Mercedes-Benz, den Preiskrieg bei batterieelektrischen Fahrzeugen weder zu ignorieren noch voll mitzugehen. „Beide Extrempositionen sind nicht sinnvoll. Stattdessen sollten deutsche Autohersteller einen balancierten Kurs einschlagen: Sie könnten in China etwa verstärkt abgespeckte Basisversionen ihrer Fahrzeuge anbieten, um den Preiskorridor kaufbereiter Kunden besser zu bedienen.“

Der Vorteil dabei: Der Absatz könnte so angekurbelt werden, ohne die Marge allzu stark zu verwässern. „Value over volume“ oder Marge vor Menge sei grundsätzlich der richtige Ansatz der deutschen Autohersteller, meint Trenka. Man müsse jedoch flexibel bleiben. „Es gibt Zeiten, in denen man das Volumen mit Rabatten treiben sollte – dann aber nur sehr gezielt.“

Im Rahmen einer zeitlich begrenzten Kampagne könnten VW und Co. auch mal zweistellige Rabatte bieten. Gerade Premiumhersteller wie BMW oder Mercedes sollten aber tunlichst im einstelligen Bereich bei den Nachlässen bleiben. Der Grund: „Mit einer drastischen Preisreduktion wecke ich Zweifel an den ehemals gesetzten Preisen und riskiere eine dauerhafte Absenkung des Preisniveaus meiner Marke“, so Trenka.

In China gebe es weiterhin beträchtliche Chancen für die deutsche Autoindustrie, auch infolge des sukzessiven Rückzugs amerikanischer, japanischer und koreanischer Marken. VW, BMW und Mercedes sollten daher mutig in China auftreten.

„Als große, finanzstarke Konzerne stehen sie wahrlich nicht am Rande des Zusammenbruchs“, sagt Trenka. Um der „Preisproblematik“ entgegenzuwirken, sollten die Hersteller versuchen, den Entwicklungszyklus eines Modelles von aktuell sieben Jahren auf drei oder vier Jahre abzusenken und die Software monatlich upzudaten. Dafür seien lokale Partner nötig.

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